HelloBetter gehört zu den Pionieren auf dem DiGA-Markt und zeigt, wie aus Forschung Versorgung wird. Im Gespräch mit Mitgründer Philip Ihde erfahren wir, wie HelloBetter den Alltag von Patienten positiv verändert, warum Regulierung mit Augenmaß überfällig ist – und wieso die Zukunft der DiGAs nur gemeinsam gedacht werden kann.  Wir werfen gemeinsam einen Blick auf die wichtigen Themen, die die Zukunft der digitalen Gesundheitsversorgung prägen: Evidenz, regulatorische Hürden, Innovationskraft, die Rolle von KI – und wie HelloBetter diesen begegnet.

Interview HelloBetter DiGA

Philip Ihde, Mitgründer und Geschäftsführer von HelloBetter
Else Distel, Redaktion Gesundheitsmarkt

Gesundheitsmarkt: Hallo Philip, ich freue mich sehr, heute mit dir über aktuelle Entwicklungen im Bereich der DiGAs zu sprechen – insbesondere darüber, welche Erfahrungen seit der Einführung der ersten DiGAs gesammelt wurden, welche Hürden es gab und welche Learnings HelloBetter bislang gemacht hat. Als Mitgründer und Geschäftsführer warst du von Anfang an dabei und kannst uns daher einen detaillierten Einblick in die Erfolgsgeschichte von HelloBetter geben. 

Von der Forschung in die Versorgung: Die Entstehungsgeschichte von HelloBetter

Gesundheitsmarkt: Was zeichnet HelloBetter aus und welche Produkte bietet es an?

Philip Ihde: Vielen Dank für die Einladung – ich freue mich sehr, unsere Geschichte hier teilen zu dürfen. HelloBetter ist ein Anbieter digitaler Gesundheitsanwendungen im Bereich der psychischen Gesundheitsversorgung. Wir sind vor über zehn Jahren aus einem Forschungsprojekt an der Universität Lüneburg hervorgegangen. Ziel des Projekts war es damals, kognitive Verhaltenstherapie zu digitalisieren und in verschiedenen Studien wissenschaftlich zu evaluieren. Die Ergebnisse waren so vielversprechend, dass daraus schließlich eine Ausgründung entstand. Vier Jahre später wurde HelloBetter gegründet. Schon damals waren wir das Unternehmen mit der weltweit größten Evidenzbasis und dem umfangreichsten Portfolio im Bereich digitaler psychischer Gesundheitsversorgung.

Was unser Leistungsangebot betrifft, sind wir sehr breit aufgestellt: HelloBetter bietet ein Portfolio von über zehn Indikationen an, für die wir digitale Therapieprogramme entwickeln und auf dem Markt verfügbar machen – darunter beispielsweise Depression, Burnout, Insomnie, Panikstörungen, der Umgang mit chronischen Schmerzen oder Diabetes. Auch seltenere Krankheitsbilder wie Vaginismus werden von unseren Angeboten abgedeckt. 

Aktuell haben wir sechs verschreibungsfähige Produkte, die speziell vom BfArM zugelassen wurden. Besonders daran ist, dass diese Produkte in Deutschland von Ärzten und Psychotherapeuten verschrieben werden können und vollständig von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Unser Ziel war und ist es, den Zugang zu hochwertiger psychotherapeutischer Versorgung für möglichst viele Menschen in Deutschland zu vereinfachen und zu erweitern. Die Entscheidung der damaligen Bundesregierung, digitale Gesundheitsanwendungen verschreibungs- und erstattungsfähig zu machen, war dabei ein enorm wichtiger Schritt in die richtige Richtung. 

Aufklären statt abwarten: HelloBetter bringt DiGAs in den Praxisalltag

Gesundheitsmarkt: Wie blickt die Ärzteschaft auf DiGAs? Ich kann mir vorstellen, dass der Bekanntheitsgrad anfangs noch recht gering war und sie für viele Ärztinnen und Ärzte – insbesondere der älteren Generation – erklärungsbedürftig waren. 

Philip Ihde: Wie bei jeder großen Veränderung gab es zunächst das gesamte Spektrum an Reaktionen. Es ist schwer, hier pauschal zu sagen, ob die Haltung überwiegend positiv oder negativ war. DiGAs sind eine neue Versorgungsform, die vielen zunächst unbekannt war und erst kennengelernt werden musste. Leider wurde die Einführung seitens des Gesetzgebers nicht ausreichend kommunikativ begleitet. Die Informationsarbeit blieb weitgehend den Herstellern und ihren Verbänden überlassen – auch wir haben viel Aufklärungsarbeit bei Ärztinnen und Ärzten geleistet. 

Unsere Produkte gibt es zwar schon seit vielen Jahren – HelloBetter ist seit über zehn Jahren in diesem Bereich aktiv – aber die Möglichkeit zur ärztlichen Verordnung im ambulanten Sektor oder im Rahmen des Entlassmanagements war für viele neu. Das musste – und muss teilweise bis heute – erst vermittelt werden. Wir haben sehr viel Bewusstseinsbildung und Aufklärung unter den Ärzten betrieben. 

Zudem gab es anfangs eine Vergütung für den Mehraufwand bei der Verschreibung, die aber nach zwei Jahren eingestellt wurde – was wir sehr bedauern. Dennoch lässt sich festhalten: Der Großteil der Ärztinnen und Ärzte kennt DiGAs inzwischen. Unsere eigenen Marktforschungen zeigen, dass sich das Bild innerhalb der Ärzteschaft in den letzten fünf Jahren deutlich gewandelt hat. Heute geht es weniger um die Frage, was DiGAs überhaupt sind, sondern vielmehr darum, wie sie konkret in den Praxisalltag integriert werden können. 

Wir erhalten viel positives Feedback – insbesondere in unserem Bereich der psychischen Gesundheit. Hier wird der Mehrwert klar erkannt, weil wir eine sofort verfügbare, orts- und zeitunabhängige Therapiemöglichkeit bieten, die sich einfach in den Alltag der Patientinnen und Patienten integrieren lässt. 

Gesundheitsmarkt: Gibt es aktuell ausreichende Anreizstrukturen für Ärztinnen und Ärzte, DiGAs zu verschreiben – oder basiert das bisher rein auf Überzeugung?

Philip Ihde: Tatsächlich basiert der Anreiz derzeit ausschließlich auf dem Wunsch, die bestmögliche Versorgung für die Patientinnen und Patienten zu bieten. Es gibt keine zusätzliche Vergütung für die Verschreibung. Unsere Zusammenarbeit mit verschreibenden Ärztinnen und Ärzten basiert also darauf, dass wir ihnen den konkreten Mehrwert unserer Anwendungen – sowohl für die Patienten als auch für den Praxisalltag – transparent machen. Dieser Mehrwert wird meist schnell deutlich, auch durch das direkte Feedback der Patientinnen und Patienten, das zeigt: DiGAs machen im Versorgungsalltag Sinn.

Nachgefragt, bewährt, im Alltag integriert: Wie HelloBetter das Leben vieler Menschen verbessert 

Gesundheitsmarkt: Wir haben jetzt über die Ärzteschaft geredet, wo du schon von einer positiven Entwicklung gesprochen hast. Diversen Studien zeigen, dass die Häufigkeit der Verschreibung steigt, weil auch Patienten die Ärzte auf DIGAs ansprechen. Nimmst du das auch so wahr? 

Philip Ihde: Absolut. Die Nachfrage ist da. Unsere Daten zeigen, dass es sowohl Patientinnen und Patienten gibt, die über ihren Arzt zur DiGA gekommen sind, als auch solche, die aktiv danach gefragt oder alternative Wege zur Nutzung gefunden haben. Das Feedback, das wir bekommen, ist überwältigend. Ein Beispiel: Eine über 70-jährige Patientin, die über 20 Jahre lang regelmäßig Schlaftabletten genommen hat, konnte durch unsere DiGA vollständig auf Medikamente verzichten. 

Unser Daten zeigen, dass DiGAs nicht nur für junge Menschen in ihren Zwanzigern relevant sind, sondern echte, nachhaltige Verbesserungen im Alltag ganz unterschiedlicher Patientengruppen bewirken können. Es ist eben nicht einfach nur „nice to have“, sondern kann tatsächlich extrem positive Auswirkungen auf das Leben der Patienten haben kann. Und da hören wir von den Patienten immer mehr positives Feedback. Sie lassen sich unkompliziert in den Alltag integrieren und stehen sofort zur Verfügung – das wir sehr geschätzt. 

Wir sehen also, dass diese positiven Erfahrungen auch die Ärzte erreichen – Patientinnen und Patienten fordern DiGAs zunehmend ein, und das wirkt sich auch auf das Bewusstsein in der Ärzteschaft aus.  

Forschung verlangt Verlässlichkeit: Warum DiGAAnbieter mehr Planungssicherheit benötigen

Gesundheitsmarkt: Lass uns als nächstes über die Regulatorik sprechen. Es gibt wiederkehrend Kritik am Studiendesign vieler DiGAs – zum Beispiel hinsichtlich der Umsetzbarkeit von doppelblinden Studien. Der Gesetzgeber plant nun ab Januar 2026 sogenannte anwendungsbegleitende Erfolgsmessungen. Es soll also nicht mehr bei der einmaligen Aufnahme ins Verzeichnis bleiben, sondern kontinuierlich Daten gesammelt und ausgewertet werden – etwa im Rahmen von Beobachtungsstudien oder auf Basis Ihrer eigenen Daten. Wie bewertest du diese geplante Neuerung?  

Philip Ihde:  Zunächst einmal ist es absolut richtig und wichtig, dass hohe Qualitätsanforderungen an diese Produkte gestellt werden. Das ist für uns selbstverständlich – wir kommen aus der Forschung und haben von Anfang an Studien durchgeführt. Gerade im Bereich der psychischen Gesundheit, wo wir mit einer sehr vulnerablen Patientengruppe arbeiten, ist wissenschaftliche Evidenz für uns unverzichtbar. 

Die Herausforderung besteht allerdings darin, dass die regulatorischen Anforderungen im Zulassungsprozess oft unklar sind – oder sich sehr kurzfristig verändern – ohne das transparente Grundlagen dazu geschaffen werden. So sind z.B. die Anforderungen an die systematische Datenauswertung bei vorläufiger Zulassung in den vergangenen Jahren sehr gestiegen. 

In der Praxis heißt das: Diese vorläufigen Daten, die man vor dem Start der eigentlichen Zulassungsstudie liefern soll, haben inzwischen fast den Umfang und die Tiefe vollwertiger Studien erreicht – das widerspricht der ursprünglichen Intention des Gesetzes, einen sogenannten Fast-Track in den Markt zu schaffen. 

Hinzu kommt: Nach dieser ein- bis zweijährigen Phase der vorläufigen Listung folgt ein neuer Antrag – und auch hier ändern sich mitunter die Bewertungskriterien gegenüber der ursprünglichen Planung. Diese Dynamik erschwert eine verlässliche Planung erheblich. 

Wir sehen außerdem, dass neue Regulatorik im Kontext von Datenschutz- und Informationssicherheit eingeführt werden, die bei den Patienten für enorme Unzufriedenheit führen. Hier wünsche ich mir, dass bei allen Entscheidungen zu neuen Anforderung der Patient mehr mitgedacht wird. 

Ein Vergütungssystem für alle? Warum DiGAs differenzierte Preismodelle brauchen: Die Idee einer individuellen P4P-Lösung

Gesundheitsmarkt: Also das Kosten-Nutzen-Verhältnis war hier entscheidend. Die Studie fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem es um die vorläufige Aufnahme ging.

Philip Ihde: Genau. Als Hersteller hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man bewirbt sich direkt auf die endgültige Aufnahme, wenn man bereits eine vollständige und zulässige Studie vorlegen kann – oder man beantragt zunächst eine vorläufige Listung, basierend auf einer ersten Datenauswertung. Danach hat man ein bis zwei Jahre Zeit, die Studie abzuschließen und im Anschluss den Wirksamkeitsnachweis zu erbringen. Bei uns war es so, dass wir zwei von sechs Anwendungen über eine vorläufige Listung eingebracht haben, die anderen vier direkt final. 

Aber bei den zwei vorläufig gelisteten Produkten haben wir festgestellt: Es wurden zu Beginn bestimmte Anforderungen besprochen – und dann startete die „Probezeit“. Doch als es dann um die endgültige Aufnahme ging, kamen unerwartete Nachfragen auf, die zuvor kein Thema gewesen waren. Dabei ist es essenziell, eine Studie so zu planen, dass sie zukünftigen Bewertungsanforderungen gerecht wird. 

Wenn beispielsweise plötzlich Subgruppenanalysen gefordert werden, aber dafür keine ausreichenden Daten vorliegen – dann heißt das ja nicht, dass das Produkt nicht wirkt, sondern lediglich, dass man keine ausreichende Datenbasis dafür vorgesehen hat. 

Das sorgt aus Herstellersicht natürlich für Unsicherheiten. Wir wünschen uns Planungssicherheit und Verlässlichkeit in dem, was im Vorfeld vereinbart wurde. Und das ist extrem kritisch, denn im Laufe der Zeit steigen die Anforderungen an Studien kontinuierlich. 

Produkte, die damals zugelassen wurden, würden mit dem heutigen Anforderungsniveau möglicherweise nicht mehr durchkommen – das führt zu einer gewissen Wettbewerbsverzerrung. Denn wenn es bei der Bewertung immer stärker um anwendungsbezogene Erfolgsmessungen geht, dann ist das zwar grundsätzlich nachvollziehbar, aber die Umsetzung ist herausfordernd. 

Was Erfolg bedeutet, ist von Produkt zu Produkt, von Indikation zu Indikation unterschiedlich. Wir haben selbst schon früh in einem unserer ersten Anwendungsfälle performancebasierte Preise angeboten, weil wir das für sinnvoll halten. Aber das, was wir als Erfolg definieren, muss nicht für alle gelten. Und jetzt stehen wir vor der Herausforderung, ein System für alle DiGA und zahlreiche verschiedene Indikationen zu schaffen. 

Dann kommt etwa die Diskussion: Ist Nutzerzufriedenheit – also NPS – ein valides Kriterium für ein medizinisches Produkt? Sollten wir unsere Produkte jetzt so ausrichten, dass sie möglichst viele „Likes“ bekommen? Das sind Feinheiten, die schwer umzusetzen sind und eine enorme Abrechnungskomplexität mit sich bringen. 

Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass bei einer erfolgsabhängigen Vergütung die Preise, die wir heute sehen, das ganze Spektrum abbilden – von einem Nutzer, der das Produkt gar nicht verwendet, bis zu einem, der es täglich nutzt. 

Wenn jetzt aber argumentiert wird, der erfolgsabhängige Teil solle noch zusätzlich vom aktuellen Preis abgezogen werden, dann funktioniert das nicht. Denn, wie gesagt: Wir sind bereit, erfolgsabhängig zu vergüten – das haben wir auch vorgeschlagen, es wurde jedoch abgelehnt. Wenn man das aber möchte, muss der Preis bei Erfolg höher angesetzt werden. 

Gesundheitsmarkt: Klar, weil ihr dadurch ein zusätzliches Risiko tragt.

Philip Ihde: Genau. Und das ist auch in Ordnung, aber es muss ein System sein, das für alle Sinn ergibt. Wenn jemand erfolgreich ist, dann muss der Preis höher sein als jetzt. Der aktuelle Preis beinhaltet ja bereits die Mischkalkulation – Nutzer, die das Produkt gar nicht verwenden, und solche, die es regelmäßig anwenden. Wenn man darauf jetzt noch eine erfolgsabhängige Komponente draufsetzt, ohne den Preis zu erhöhen, ergibt das wirtschaftlich keinen Sinn. 

Und in anderen Verträgen, die wir seit Jahren haben, ist es natürlich auch so: Die Summe aller Bestandteile eines erfolgsabhängigen Preismodells liegt deutlich über dem eines Mischpreis-Modells. Das ist logisch – aber das scheint nicht immer verstanden zu werden. Der Teufel steckt da wirklich im Detail. 

Wir haben bereits vor vier Jahren, bei den ersten Preisverhandlungen, erfolgsabhängige Modelle vorgeschlagen. Aber wie gesagt: Die Herausforderung bei dieser Art von Regulierung ist, dass man versucht, ein System für alle zu schaffen – und das ist schlicht extrem komplex. 

Gesundheitsmarkt: Das heißt, das Vergütungsmodell Pay for Performance hältst du grundsätzlich für sinnvoll – es muss aber indikationsspezifisch angepasst und fair bepreist sein, damit sich die Investitionen für DiGA-Hersteller auch lohnen. Da braucht man natürlich Planungssicherheit.

Philip Ihde: Genau. Das ist aus unserer Sicht eine gute Zusammenfassung.

HelloBetter im europäischen Rollout und klarem Appell: Digitale Gesundheit braucht einheitliche Zulassung

Gesundheitsmarkt: Lass uns neben Risiken auch über Chancen sprechen. Du hast in den vergangenen Jahren den Markteintritt nach Frankreich und in die USA gewagt. Vielleicht kannst du noch einmal von deinen Erfahrungen berichten. Ich kann mir gut vorstellen, dass es dort ganz andere Hürden gab als in Deutschland. Mit welchen Markteintrittsbarrieren warst du konfrontiert?

Philip Ihde: Ja, gerne. Unser Markteintritt in Frankreich ist noch nicht abgeschlossen – wir befinden uns aktuell mitten im Prozess. Für uns ist das ein logischer nächster Schritt, und perspektivisch möchten wir uns auch weitere Märkte anschauen. Was wir uns insbesondere von der EU wünschen würden – gerade angesichts der aktuellen geopolitischen Rahmenbedingungen – ist der Mut, einen echten Binnenmarkt zu etablieren. 

Während es bei Arbeitskräften einen europäischen Binnenmarkt gibt, ist der Absatzmarkt – vor allem im Gesundheitsbereich – noch immer stark fragmentiert. Ein Beispiel: Produkte, die in Deutschland dauerhaft zugelassen wurden und sich auf wissenschaftlich fundierte Standards stützen, wurden in anderen europäischen Ländern bei der Beantragung einer Erstattung abgelehnt. 

Das kann aus unserer Sicht nicht der Anspruch Europas sein. Wenn wir wollen, dass Europa ein innovativer Standort für den Gesundheitssektor bleibt, dann müssen wir einen einheitlichen Zulassungsweg schaffen. Im Idealfall sollte eine Zulassung in einem EU-Land zumindest einen erleichterten Erstattungszugang in den anderen Mitgliedsstaaten ermöglichen – und zwar möglichst bald und nicht erst nach jahrelangen Diskussionen. 

Ein System, zwei Märkte: HelloBetter über die Stärken und Schwächen von DiGA und FDA

Was die USA betrifft: Das ist natürlich noch einmal ein ganz anderer Markt. Aber wenn man vergleicht, muss man sagen – und das mag überraschen – dass Deutschland dem US-Markt in einem Punkt voraus ist. Denn wir haben mit dem DiGA-Weg ein Verfahren, das Zulassung und Erstattung kombiniert.  

In den USA hingegen sind Zulassung und Erstattung zwei getrennte Prozesse – was die Markteinführung deutlich erschwert. Auf der anderen Seite profitieren Unternehmen dort von einem echten Binnenmarkt und regelmäßig deutlich attraktiveren Preismodellen. In Europa gibt es teilweise unrealistische Vorstellungen: Produkte, die zu Recht hohen regulatorischen Anforderungen genügen und wissenschaftlich validiert sein müssen, sollen im Idealfall nur 50 Euro kosten – das ist wirtschaftlich kaum machbar. 

In den USA sehen wir bei FDA-zugelassenen digitalen Therapeutika ganz andere Preisniveaus – aber der Weg dorthin ist lang, komplex und vor allem kapitalintensiv. 

Mehr als nur Digitale Therapeutika: HelloBetter will Versorgung in der Tiefe erweitern 

Gesundheitsmarkt: Wie sieht denn vor diesem Hintergrund die weitere Wachstumsstrategie von HelloBetter aus? Der Fokus liegt vermutlich weiterhin stark auf Deutschland – mit zusätzlicher Internationalisierung?  

Philip Ihde: Aktuell konzentrieren wir uns auf Deutschland und Frankreich – rein aus Kapital- und Ressourcenperspektive. Allein dort gibt es bereits genug große Herausforderungen, die wir bewältigen müssen. 

Wir vertreiben allerdings auch Produkte in den USA, gemeinsam mit Partnern – das sind sogenannte D2C-Produkte. Dabei stehen wir auch im Austausch mit der FDA. Ein Produkt hat bereits eine sogenannte Breakthrough Device Designation erhalten – eine vorläufige Zulassung im Rahmen eines Programms, das auf die spätere reguläre Marktzulassung vorbereiten soll. Allerdings fehlen uns aktuell die finanziellen Mittel, um diesen Weg mit voller Kraft zu verfolgen. 

Grundsätzlich verstehen wir uns als global agierendes Unternehmen. Unser Ziel ist es, mittelfristig jährlich zwei Millionen Patienten zu versorgen. Dieses Ziel unterstreicht unsere internationalen Ambitionen, aber gerade auf dem Weg über reale Investitionen müssen wir unsere Schritte sehr genau abwägen. 

Gesundheitsmarkt: Bleibst du dabei weiterhin im Fachbereich der psychiatrischen Versorgung? 

Philip Ihde: Ja, aktuell denken wir vor allem vertikal – das heißt, wir bleiben im Mental-Health-Bereich, sind aber offen dafür, unser Angebot innerhalb dieses Bereichs zu erweitern.  

Gesundheitsmarkt: Also durch zusätzliche Indikationen? 

Philip Ihde: Auch, ja – aber vor allem durch andere Modalitäten. Es geht uns nicht nur um digitale Therapeutika (DTx), sondern auch um Telemedizin, Coaching-Angebote und weitere Formate. Unser Ziel ist es, Patientinnen und Patienten den gesamten Strauß an Versorgungsoptionen anzubieten – genau das, was sie in ihrer jeweiligen Situation konkret brauchen. 

Blended Care als Leitbild: HelloBetter verbindet Technologie mit menschlicher Begleitung

Gesundheitsmarkt: Siehst du dabei technologische Innovationen oder Markttrends, die in den nächsten drei bis fünf Jahren besonders relevant werden?

Philip Ihde: Absolut. Technologisch passiert gerade sehr viel. Vor allem das Potenzial von künstlicher Intelligenz ist noch lange nicht ausgeschöpft. Neben der Internationalisierung ist das derzeit unser größtes Entwicklungsprojekt: der gezielte Einsatz von KI in unseren Produkten. 

Natürlich sind wir durch regulatorische Vorgaben nicht so flexibel. Gleichzeitig eröffnet genau das eine Marktchance. Wir sehen schon jetzt, dass psychische Gesundheit einer der häufigsten Anwendungsfälle für Endkunden bei Systemen wie ChatGPT ist. Der Bedarf ist also da. Unser Anspruch ist es, dafür eine hochwertige, speziell entwickelte Lösung anzubieten – daran arbeiten wir mit Hochdruck. 

Ein zentrales Thema dabei ist die Individualisierung der Nutzererfahrung. Aktuell sind die digitalen Angebote zwar indikationsspezifisch, aber in der Nutzung weitgehend uniform. Die Inhalte und Abläufe sind meist für alle gleich – unabhängig von der Person. Wir sehen die Zukunft darin, die Erfahrung komplett auf die individuelle Situation der Nutzer abzustimmen – auf ihr Profil, ihre Bedürfnisse, ihre Herausforderungen. Daran arbeiten wir gerade intensiv. 

Gesundheitsmarkt: Und strategisch gedacht – unter welchem Leitbild steht das für dich? 

Philip Ihde: Wir fassen das unter dem Begriff Blended Care zusammen – also die intelligente Kombination aus Technologie und menschlicher Begleitung. Dabei gibt es viele Optionen, wie diese Verzahnung konkret aussehen kann. 

Gesundheitsmarkt: Wenn du auf die Marktdynamik blickst: Wie wird sich der Markt in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln? Wird er fragmentierter oder konsolidierter? 

Philip Ihde: In Deutschland sehe ich eine klare Tendenz zur Konsolidierung. Die regulatorischen Anforderungen und die Herausforderungen bei der Markteinführung machen es kleineren Anbietern mit nur einem oder wenigen Produkten zunehmend schwer. Auch durch Preisdruck und sinkende Investitionsbereitschaft wird es schwieriger, neue Produkte zu entwickeln. 

Dazu kommen die Finanzierungsbedingungen: Viele Start-ups, die mit einer Produktpipeline gestartet sind, merken, dass es heute deutlich schwieriger geworden ist, weitere Entwicklungen zu finanzieren. Deshalb gab es in den letzten zwei Jahren bereits zahlreiche Konsolidierungsschritte – und ich gehe davon aus, dass sich das Fortsetzen wird. 

Gesundheitsmarkt: Dabei entstehen sicherlich auch Synergien – etwa bei der Durchführung von Studien. 

Philip Ihde: Ganz genau. Regulatorik und bestimmte technische Prozesse müssen ja ohnehin für jedes Produkt aufgebaut werden. Wer ein Portfolio hat, kann Synergien heben – das erleben wir sehr deutlich. 

Verschreibende Ärzte wünschen sich oft einen verlässlichen Anbieter mit mehreren Lösungen. Auch im „Backoffice“ – also in den Verwaltungsprozessen – lassen sich Synergien erzielen, genauso wie im Vertrieb. Gerade Letzterer ist entscheidend. Wenn man nur ein Produkt hat, ist es schwer, einen wirksamen Vertrieb aufzubauen. Gleichzeitig sind die Preise nicht so hoch, dass man einfach Distributionspartnerschaften etablieren könnte – dafür wäre die Marge meist zu gering. Unser Portfolio-Ansatz hat sich da sehr bewährt. 

Gesundheitsmarkt: Vielen Dank Philip – zum Abschluss gerne noch folgende Frage: Was waren für dich die wichtigsten Learnings der letzten Jahre und was wünschst du dir für die Zukunft – auch mit Blick auf die Politik? 

Philip Ihde: Für mich persönlich ist es ein großes Privileg, in diesem Bereich zu arbeiten. Das Feedback unserer Patienten ist überwältigend. Ich denke da etwa an unser Produkt gegen Vaginismus. Eine Patientin schrieb uns, dass sie nach der Nutzung unseres Produkts schwanger geworden ist – etwas, das zuvor für sie nicht möglich war. Solche Rückmeldungen sind zutiefst bewegend. Sie erinnern uns daran, warum wir das alles tun – auch wenn es an vielen Stellen komplex und herausfordernd ist. Ich glaube, das ist immer wichtig, sich bei allen Herausforderungen, die wir irgendwie haben, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen: warum machen wir denn das eigentlich? 

Für die kommenden Jahre wünsche ich mir, dass wir – bei allen geopolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten – einen gemeinsamen Fokus finden: die Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitssystems zu sichern. Und das heißt eben auch, Digitalisierung zu ermöglichen – nicht zu verhindern. 

Dazu braucht es einen regulatorischen Rahmen, der Innovation zulässt, der attraktiv ist und Hürden abbaut. Andernfalls riskieren wir, gute Ideen im Keim zu ersticken. 

Gesundheitsmarkt: Da kann ich nur zustimmen. Von der regulatorischen Seite braucht es Platz und neue Weichen für Innovation – gerade im digitalen Gesundheitsbereich. Vielen Dank für das Interview! 

 


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